Der Chronist berichtet:

Die Schulmeisterbesoldung im 18. Jahrhundert
Erich Georg, Haiger

Schulen im heutigen Sinne gab es vor der Reformationszeit in unserer Gegend noch nicht. Die Ausbildung der Jugend fand meist in Stiften und Klöstern statt und diente vornehmlich dem Zweck, für den geistlichen Nachwuchs zu sorgen. So wurde dort auch die Bibel und deren Auslegung in den Mittelpunkt des Unterrictites gestellt. Natürlich mußte den Zöglingen, um dieser Aufgabe gerecht zu werden, Lesen und Schreiben beigebracht werden. Da aber die Bibel in dieser Zeit noch nicht in die deutsche Sprache übersetzt war, wurde auch das Lateinische gelehrt.

Ein tiefgreifender Einschnitt in das deutsche Bildungswesen bedeutete die Reformation. In dieser Zeit wurde nicht nur die Kirche reformiert, sondern die sächsische Kanzlei-Sprache als einheitliche deutsche Sprache eingeführt. Luther und Melanchthon, der Präceptor Germaniae (Lehrer Deutschlands), forderten in Reden und Schriften, daß überall in Deutschland Schulen eingerichtet werden möchten, um das Volk aus seiner Unwissenheit zu befreien. In Dresselndorf und Holzhausen bestanden damals um die Jahrhundertwende schon Lateinschulen, die aber bereits zu Beginn des 17. Jhdts. eingingen.

Graf Johann VI. hatte im Jahre 1582 verfügt, daß in seinem Hoheitsgebiet die Lateinschulen den Unterrichtsbetrieb einstellen und dafür deutsche Dorfschulen eingerichtet werden sollten, in denen die Schüler in Lesen, Schreiben und Rechnen unterwiesen werden sollten.

In den Folgejahren entstanden im ehemaligen Dillkreis achtzehn Dorfschulen; dazu kamen noch vier im Hickengrund, der damals noch zu Nassau-Dillenburg gehörte. Die Pfarrer erteilten zum Teil auch den Unterricht und wurden darüber hinaus zu Schulinspektoren ernannt; dies blieben sie bis zum Jahre 1918.

Es wäre noch vieles über diese Dorfschulen zu sagen, aber uns soll an dieser Stelle in erster Linie ihre Besoldung interessieren. In einer Urkunde, die ich im Dillenburger Stadtarchiv einsehen konnte, sind die Entlohnungen der ehemaliqen Lehrer im Hickengrund festgelegt:

Holzhausen
In Holzhausen erhielt der Lehrer einen Jahreslohn von 63 Florin in barem Geld aus den Zinsen der Schulkapitalien, die der Kapellmeister erheben mußte. Diese Zinsen erbrachten 45 Florin. Die restlichen 18 Florin mußte die Gemeinde zuschießen. Aus dem Kasten- und Singegeld kamen noch 24 Albus dazu. Also Gesamtlohn: 63 Florin und 24 Albus. Außerdem war dem damaligen Schuldiener noch die Kost für das  ganze  Jahr versprochen worden - ausgenommen in der Erntezeit, in der er als Tagelöhner ging und sich dadurch die Kost verdiente. Die Kost erhielt er dadurch bis auf die angegebenen zwei Monate, weil er in der Zeit vom Oktober bis Mai täglich die Unterweisung zu halten hatte. Sie wurde also nur an ca. 290 Tagen gegeben und mit 5 Albus in Rechnung gestellt. Dies machte zusammen 48 Florin und 10 Albus. Die Gemeinde bestand damals aus 106 Familien, welche 148 Kinder zur Schule schickten, welche viel zu klein war.

Zu diesen Besoldungsdaten müssen noch einige Anmerkungen gemacht werden, da vor allem die Währung selbst in den nassauischen Landen nicht einheitlich war. In Diez und Hadamar galt der Rädergulden oder auch Reichsthaler. Bei uns wurde mit Florin oder Gulden gerechnet. Aus diesen Gründen ist es auch äußerst schwer, den Wert eines Florin festzulegen. In einer Anzeige in den Dillenburger Intelligenzblättern pries ein Dillenburger Apotheker den Jamaika-Rum zu 1 Florin an. Für denselben Preis erhielt man 1 Rute gewöhnliches Ackerland, die Rute zu 25 m2 gemessen (nassauisches Maß).

Schulkapitalien waren durch Schenkungen von Witwen, kinderlosen Ehepaaren und auch durch Konfiscierungen von Kirchengut während der Reformationszeit angefallen. Diese Kapitalien wurden durch den Kastenmeister (Gemeinderechner) zu einem Zins von 5 % an Gemeindemitglieder verliehen. Von diesen Geldern erhielt der Schulmeister auch einen Teil seines Lohnes.. Da die Zinsen aber nicht immer gleichmäßig ausfielen, erhielt der Lehrer auch nicht in allen Jahren gleichen Lohn.

Weiterhin dienten auch die Kollekten, die sonntags beim Kirchgang anfielen, teilweise zur Schulmeisterbesoldung. Diese wurden vom Kapellmeister ausgezahlt. In unserer Urkunde wird das Singegeld erwähnt, das letzterer ebenfalls auszahlte. Bei einer Beerdigung mußte der Schulmeister mit dem Pfarrer und den Schulkindern zum Sterbehaus gehen und dort und auch auf dem Friedhof singen, da die wenigsten Leute sich ein Gesangbuch leisten konnten. Den letzteren Brauch haben die älteren unter uns in ihrer Jugend noch erlebt (Anm.: veröffentl. 1988).

Der Holzhausener Schulmeister hatte im Vergleich zu den übrigen Lehrern im Dresselndorfer Kirchspiel ein königliches Gehalt. Er erhielt immerhin 111 Florin und 34 Albus und die Kost über das ganze Jahr, die er im ,,Umgang", d. h. von Haus zu Haus zu sich nahm, genau wie die Hirten auch.

Laut fürstlicher Verordnung war der Lohn des Schulmeisters nicht in allen Gemeinden gleich. Er richtete sich weder nach Ausbildung.noch nach Kinderzahl, sondern nach der Zahl der Familien, die in der Gemeinde ansässig waren. Er bestand für die Familien nicht in Bargeld, sondern lediglich durch die Hergabe des Mittag- oder Abendessens. In kleineren Gemeinden, wie z.B. in Lützeln, wurden zusätzlich zur Kost auch noch andere Naturalien gegeben. Bei diesem ,,Umgang" spielte es keine Rolle, ob es sich um eine kinderreiche oder kinderlose Familie handelte. Jede Familie, ob Hausbesitzer oder Mieter, wurde zum ,,Umgang" herangezogen. Lastenausgleich! Bei den Hirten wurden nur die zur Hergabe der Kost und des Hundefressens herangezogen, die Vieh auf die Weide trieben.

Die Volksschulen der damaligen Zeit waren Winterschulen. Wie bereits erwähnt, begann der Unterricht am 1. Oktober und endete am 30. April. Von da ab wurden die Jungen und Mädchen im Haushalt oder in der Landwirtschaft zurMithilfe herangezogen. Ärmere Familien verdingten die älteren Kinder auch für die Kost als Tagelöhner.

Um den Leistungsstand der Kinder zu überprüfen, wurden am Ende eines Winterhalbjahres Prüfungen durch den Pfarrer und Heimberger  durchgeführt. Dabei wurden nicht nur die Leistungen der Schüler, sondern auch die der Lehrer überprüft. Prüfungsberichte dieser Art liegen mir für alle vier Gemeinden des Hickengrundes aus dem Jahre 1758 vor. Von dem Schulmeister in Holzhausen berichtet Pfarrer Tecklenburg folgendes:

Jost Heinrich Wendel Schulmeister in Holtzhausen
1. Er bedient die Schule daselbsten 8 Jahre.
2. Beträgt sich ebenfalls wohl.
3. Schreibt leserlich.
4. Singt ziemlich und kann das Klavier schlagen.
5. Bekommt jährlich Baar an Geld 64 Florin, 25 Albus und die Kost.
                                        gez. Tecklenburg"
 

Niederdresselndorf
Der Niederdresselndorfer Lehrer bekommt jährlich an Geld: 13 Florin 15 Albus aus den Zinsen der Schulkapitalien, die Dato beragen 12 Florin 15 Albus 27 Pf. Diese Zinsen werden an einem vom Heimberer bestimmten Tag im Jannuario von den Debitoribus zu erlegen befohlen, und sofort wird der Rest am Schulmeisterlohn à 14 AIbus aus der Gemeindekasse zugelegt. Aus den Almosen-Capitalzinsen noch sog. Singegeld -Fl. 24 Albus dazugelegt. Summa = 14 Florin 9 Albus. Die Kost wird ihm täglich vom 1. Okt. bis 1. März und außer der Acker- und Erntezeit wöchentlich im ganzen Sommer und Frühjahr dienstags und freitags, als an welchen die Unterweisung geschieht, und die Bätstunde 3 mal gehalten wird und auch sonntags das ganze Jahr hindurch gegeben wird. Kann täglich nicht geringer als 5 Albus gerechnet werden: und also käme ungefähr eine Zahl von 262 Tagen heraus, an welchem im gantzen Jahr die Kost gegeben wird, welches täglich zu 5 Albus gerechnet ergibt 43 Florin 20 Albus. An accidentien von Begräbnissen bekommt der Schulmeister keinen Heller. Familien oder Häuser. sind dermalen 68, daraus ist die Anzahl der Kinder 72.

In Niederdresselndorf war zu der damaligen Zeit Johann Christian Ströhmann Schulmeister. Über seine Fähigkeiten urteilt die Prüfungskommission am 15. Sept. 1758 wie folgt:
1. Stehet bei hiesiger Gemeinde 20 Jahre und ist 43 Jahre alt. Hat sich jeder Zeit in Lehre und Leben wohl betragen.
2. Schreibt ziemlich, singt am besten von hiesigen Schulmeistern, kann aber das Klavier nicht schlagen.
4. Bekommt jährlich zu Lohn 13 Florin 15 Albus und die Kost.
5. Das Glockenamt, welches er itzo bedient, gehört zur Pfarre, und es hängt vom Prediger ab, ob er es dem Schulmeister belassen oder es selbst ausüben will.

Oberdresselndorf
Hier bekommt der Schuldiener als Jahreslohn 9 FI. 7 Alb. 4 Pf., welche aus den Zinsen von Schukapitalien bestehen und von ihm meist müssen erhoben werden. An Hafer von jedem Haus, deren jetzo 39 sind, 1114 Meste (1 Meste Hafer ca. 24 Pfund). Die Meste wurde zu 6 Albus gerechnet = 4 FI. 22 Alb. Aus den Gemeindewiesen ein Teil, welchen man kauft für 12 Albus. Die Kost wird gegeben wie zu Niederdresselndorf, macht also jeden Tag 5 Alb. = zusammen 43 FI. 20 Alb.

Aus den 39 Häusern kommen jetzt zur Schule 45 Kinder. Den Winter durch muß der Schuldiener alle Morgen die Betstunde halten. Sonntagsmittags auch die Postille lesen, wie auch der zu Lützeln tun muß. Außerdem noch an zwei Tagen in der Woche nachmittags eine Andacht.

Von einer Besoldung für diese Tätigkeit wird nichts gesagt. Es unterrichtete Johannes Theis. Seine Beurteilung:
1. Stehet daselbsten 1 Jahr und ist 30 Jahre alt.
2. Beträgt sich recht wohl.
3. Schreibt gut, singt ziemlich und will das Clavier schlagen lernen.
4. Bekommt zu Lohn 15 Florin und die Kost.

Lützeln
Erschütternd sind die Verhältnisse in Lützeln. Pfarrer Schacht, der zu damaliger Zeit Schulinspektorin seinem Pfarrbezirk war, sieht sich veranlaßt, eine Eingabe an seine vorgesetzte Behörde zu machen und um Abhilfe zu bitten. Er schreibt:

,,Unser Schuldiener erhält als Lohn 15 Florin, welche aus Schuldkapitalien die Zinsen sind. Im Augenblick sind es aber nur 8 FI. 13 Alb. Den Rest muß die Gemeinde zuschießen. Aus besonderer Gunst hat er im vergangenen Jahr noch einen Karren Heu bekommen. Keine accidentien gibt es auch nicht daselbst. Die Kost genießt er nur, solange Schulstunden gehalten werden, welche gewöhnlich im Frühjahr, wenn das Ackern angeht, ein Ende nehmen. An Sonntagen muß er die Postille lesen, so daß sich die Zahl der Verköstigungen auf ca. 230 Tage erhöht. Die Mahlzeit wird zu 5 Alb. berechnet. Dies ergibt 38 FI. und 10 Alb. Die Gemeinde besteht zur Zeit aus 36 Häusern, aus denen 45 Kinder zur Schule gehen. Aber wie erbärmlich ist der Raum, in dem sich die Kinder drücken müssen. Er mißt nur 16 Schuh in der Länge und 14 Schuh in der Breite (ca. 20 qm). Die Höhe des Raumes beträgt 1,65 m. Darinnen stehet auch des Schulmeisters Bett. Wenn er von Medenbach kommt, wo er beheimatet ist, muß er 23/4 Stunden wegs bis Lützeln gehen. Von Niederdressejndorf und Holzhausen ist nur 25 Min. von hier und Oberdresselndorf ist nur 15 Min. abgelegen. Im hiesigen Grund wird zwar etwas Korn und Gerste, doch am meisten Hafer gesät, und die Felder tragen bei weitem nicht soviel wie in Frohnhausen.

Die Leute im hiesigen Kirchspiel müssen neben der Schatzung der Landesherrschaft auch in des Pfarrers Scheune noch Hafer abliefern.

(Die Pfarrer betrieben zur damaligen Zeit auch noch Landwirtschaft! Rechtes Bild: Die ,Pärrschauer', in der später auch der Konfirmendenunterricht abgehalten wurde. Das Gebäude stand gegenüber vom ehem. Spritzenhaus und musste dem Neubau des Ev. Gemeindehauses weichen.)


Daneben müssen sie den Viehhirten und Nachtwächter auch mit Früchten belohnen. Zum Teil kommt der Küster, welches Amt der Pfarrer hat, das er jetzt aber dem Schuldiener zu genießen gibt, seinen Lohn in Naturalien. Die allerwenigsten Leute ziehen jährlich ihr Auskommen aus ihren Feldern, müssen also viel Frucht kaufen und gehen oft die Landesregierung in Dillenburg um Saatgut an. Daher sehe ich keine Möglichkeit, wie die schlechte Schulmeister-Bezahlung vermehrt werden könne. Es sei denn, daß unser gnädigster Landesfürst eine considerable Stiftung aus den jährlichen Landeseinkünften zur Schuldienerbesoldung gnädigst machen oder von Ihrem Uberfluß jährlich soviel abgeben möchte, als nötig ist, den Mühseligen und Beladenen die längst gewünschte Erquickung zukommen zu lassen.

Also verzeichnet zu Niederdresselndorf am 5. Martini 1767 von dem dasigen Prediger gez. Schacht".

Der Vollständigkeit halber wollen wir auch die Beurteilung des Lützelner Schulmeisters noch bringen:
1. Ist Schulmeister allda seit 5 Jahren und ist alt 27 Jahre..
2. Hat sich auch bis dato noch gut geführt, außer daß er selbst einen Paß ausgeschrieben hat, weshalben er von S.W. Consistorio auf 2 Monat ab oficio suspendieret worden.
3 Er schreibt passabel, singt ziemlich, kann aber das Clavier nicht schlagen; seine Schul trägt ein 15 FI. und die Kost.

Es fällt schwer, einen Vergleich in der Lehrerbesoldung zwischen den einzelnen Gemeinden des Hickengrundes zuziehen, ja sogar zwischen den einzelnen Gemeinden in ganz Nassau, da diese überall anders gehandhabt wurde. Nur in einem stimmten die Kommunen überein: Sie zahlten einen Grundlohn, der sich nach der Anzahl der Familien richtete, und sie rechneten alle die Kost mit 5 Albus an. Aber bei dieser Anrechnung war die Anzahl der Tage, an denen die Schuldiener beköstigt wurden, wiederum verschieden. Die einen rechneten mit 230, andere mit 262 oder sogar mit 292 Tagen: In einer Urkunde heißt es sogar: ,Die Kost wird das ganze Jahr über gegeben'.
Zum anderen wurden auch Hafer, Heu und andere Materialien in ganz verschiedenen Mengen gesammelt und in Anrechnung gebracht. Diese Abgaben mußte der Lehrer selbst eintreiben. Wie oft wird er vor verschlossenen Türen gestanden haben oder mit einem Trostwort auf später abgewiesen worden sein! Glöcknerdienste und Gebetsstunde spielten auch eine Rolle und wurden teils in die Besoldung mit eingerechnet.

Die Kost wird wohl in allen Häusern nicht gleich gut gewesen sein. Sauberkeit und Hygiene mögen dem armen Lehrer wohl auch oft den Appetit verdorben haben. Genau wie in einzelnen Häusern die Tuberkulose einen Teil der Kinder hinraffte, wurden auch die Lehrer oft von dieser tückischen Krankheit befallen und starben. Deshalb baten auch in einigen Orten des Kirchspiels die Lehrer ihre Pfarrer, daß anstelle der Kost doch ein Geldbetrag gezahlt werden möchte, Die Eltern lehnten aber unter dem Vorwand ab, daß das Geld zu ,rar' sei, um diesem Ansinnen nachzukommen. Mitte des 18. Jahrhunderts gab das Consistorium, wohl um das Ansehen der Lehrer zu heben, eine Verordnung heraus, daß die Lehrer ebenso wie die Pfarrer in schwarz gekleidet sein müßten. Vielen von ihnen stand das Geld für diese Kleidung nicht zur Verfügung, und sie mußten bei der Gemeinde oder einem reichen Bürger um ein Darlehen bitten und begaben sich dadurch in eine Abhängigkeit, die für die Beurteilung ihrer Schüler von Nachteil war. In dieser Zeit kam wohl auch das Lied vom ,armen Dorfschulmeisterlein' auf.

Diese ungleichen und erniedrigenden Besoldungsverhältnisse vor allem der Landlehrer dauerten bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts an. Da erst erhielten die Landlehrer ,die Rechte und Pflichten des Staatsdieners' und wurden dadurch in die staatliche Besoldungsördnung eingegliedert.

Quelle: Entnommen mit frdl. Genehmigung aus Heimatspiegel Nr. 94